Jeder Mensch bringt eine für ihn typische Angstdisposition
von Geburt an mit, die sich aber schon ab dem Kleinkindalter und noch
lebenslang durch entsprechende Lernprozesse erheblich verändern lässt. Jede Art
von Angst kann gelernt, aber auch verlernt werden. Viele dieser Grundlagen kann
man auch als nicht ausgesprochene Ängste in der Familie sehen, wenn man genau
hinsieht und die persönliche Geschichte beachtet.
Bei den Ängsten spielen die Unterschiede zwischen den
vielfältigen Formen eine wesentliche Rolle: So ergeben sich etwa gravierende
Unterschiede sowohl in der Zielsetzung als auch in der Methode der Behandlung
von Neurotischen Ängsten, Panikattacken, Phobien oder Fürchten. Jeder
Lernprozess zielt auf das Erreichen eines möglichst realitätsgerechten,
beherrschten mittleren Angstlevel ab, weil einerseits unangebrachte Ängste
Energien vergeuden und zu starke Ängste das Aktionspotenzial lähmen,
andererseits bei zu geringen Ängsten die notwendige Warnfunktion und
Schutzwirkung fehlt.
Gefahrensignale im Gedächtnis vorzuhalten, hat
offensichtlich Selektionsvorteile. Angst ist die gelernte Verbindung von
spezifischen Hinweisreizen in Ereignissen und deren schädlichen Konsequenzen.
Ängste können auf verschiedene Weisen gelernt werden, etwa durch eigene Erfahrung
(Konditionierung), durch Beobachtung fremden Verhaltens (Lernen am Modell) oder
durch Instruktion (zum Beispiel Warnhinweise).
Ein klassisches und einflussreiches lerntheoretisches Modell
der Angstentstehung und -aufrechterhaltung ist die Zwei-Faktoren-Theorie von
Mowrer (1960), die folgende Faktoren postuliert:
1. Klassische
Konditionierung: Die Entstehung der Angst erfolgt durch klassische
Konditionierung, indem ein ursprünglich neutraler Reiz durch zeitgleiches
Auftreten mit einer Angstreaktion zum konditionierten Angstreiz wird (siehe das
Little-Albert-Experiment).
2. Operante
Konditionierung: Durch die Vermeidung des klassisch konditionierten Angstreizes
(ein Objekt oder eine bestimmte Situation, z. B. Straßenbahnfahren) kommt es
zur Reduktion von Angst und Anspannung und somit zur negativen Verstärkung und
Aufrechterhaltung des Vermeidungsverhaltens und der Erwartungsangst.
Einige Ängste, wie die Angst vor Spinnen, Schlangen und
wütenden Gesichtern, können sehr viel leichter gelernt werden als andere. Sie
sind offenbar, wie Martin Seligman es nannte, „biologisch vorbereitet“. Dieses
Phänomen nannte er Preparedness. Dies ist auch der Fall, wenn die Reize
unterschwellig dargeboten werden. Neuzeitliche Gefahrenquellen wie Schusswaffen
oder defekte Elektrokabel sind jedoch nicht biologisch vorbereitet.
Aus kognitiver Sicht entsteht Angst nach Aaron T. Beck, wenn
die Auftretenswahrscheinlichkeit einer Gefahr groß, die Kosten eines Schadens
hoch und eigene Copingstrategien und die Chance auf Hilfe von außen gering
eingeschätzt werden. Quasi-mathematisch ließe sich das folgendermaßen
beschreiben:
Angst=Geschätzte Wahrscheinlichkeit*Geschätzter
Schaden/(Copingstrategien+Mögliche Hilfe von außen)
Eine ähnliche Erklärung bietet auch das Stressmodell von
Lazarus, wonach Angst eine Folge der subjektiven Bedrohungsinterpretation bei
gleichzeitig geringer Bewältigungseinschätzung entsteht.
Sigmund Freud unterschied drei Ursachen der Angst:
- Die Realangst: Diese stellt sich bei äußerer Bedrohung in Gefahrensituationen ein, entspricht also der Furcht. Sie soll Gefahren signalisieren und als Antwort darauf angepasste Reaktionen auslösen. Die natürlichen Reaktionen sind Flucht, Ausweichen vor der Situation, Panik, Wut und Aggression. Dazu gehört auch die Vitalangst, welche bei lebensbedrohlichen Erkrankungen und Situationen wie z. B. Angina pectoris oder Asthma bronchiale auftritt. Das Ausmaß der Realangst ist auch von Faktoren wie der psychovegetativen Verfassung (Erschöpfung oder Auszehrung), der Persönlichkeit und Reaktionsbereitschaft, der Widerstandskraft und frühkindlichen Angsterfahrungen abhängig. Angst erhöht die Anpassungsfähigkeit, indem sie das Erlernen neuer Reaktionen zur Bewältigung von Gefahr motiviert. Sie kann aber auch bei zu großer Intensität zu in Bezug auf die Gefahrenbewältigung unangepassten Reaktionen und selbstschädigendem Verhalten führen.
- Die Binnenangst bzw. neurotische Angst: Sie stellt sich ein, wenn das Ich von übermäßigen Triebansprüchen des Es überwältigt zu werden droht.
- Die moralische Angst: Sie tritt auf, wenn das Über-Ich mit Strafe wegen Verletzungen von Regeln und Tabus droht, und äußert sich in Scham oder Schuldgefühlen.
Zur Verteidigung gegen diese Ängste stehen dem Ich mehrere
Abwehrmechanismen zur Verfügung, die Anna Freud in ihrem Buch Das Ich und die
Abwehrmechanismen (1936) dargestellt hat.
Der Psychiater und Psychoanalytiker Stavros Mentzos hält die
Angst aufgrund der sie „begleitenden vegetativen Erscheinungen sowie analoger
Erscheinungen bei Tieren“ für ein „angeborenes und biologisch verankertes
Reaktionsmuster“ und vergleicht sie mit der Schmerzreaktion. Im Anschluss an
die Verhaltenstherapie fragt er sich, „ob nicht die Angst ein regelrechter
Instinkt ist“.
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